Zwischennutzungen 1849–1880

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Das Pockenspital 1880

Audio: «Eine gewaltsame polizeiliche Wegnahme eines geliebten Kindes».
Brief eines Vaters an den Regierungsrat, 1880.*

Seit dem Sommer 1879 grassierte in Luzern und Umgebung eine Pockenepidemie. Pocken beziehungsweise Blattern breiteten sich damals immer wieder seuchenartig aus und forderten gerade bei Kindern und geschwächten Personen Todesopfer.

Nachdem das Luzerner Stadtspital keine weiteren Kranken mehr aufnahm, mussten Ausweichmöglichkeiten gesucht werden. Rathausen hatte vor wenigen Jahren als Lazarett für die Bourbaki-Armee gedient und stand seither leer. Es wurde entsprechend als geeigneter Ort aufs Tapet gebracht. So zogen im Februar 1880 die ersten Patienten in Rathausen ein. Betreut wurden die Kranken von einem Arzt und vier Schwestern aus dem Kloster Ingenbohl.

Ein geeigneter Ort für ein Pockenspital

Das Spital wurde schon bald, vermutlich im April 1880, wieder geschlossen, nachdem die Epidemie abgeklungen war. Der Grosse Rat beschloss, das Amtshaus von Rathausen zur Aufnahme von Pockenkranken bereitzuhalten. Es galt durch seine isolierte, gesunde, ruhige und sonnige Lage am fliessenden Wasser mit passenden Räumlichkeiten als geeignet zur Einrichtung eines Spitals. Zu einer weiteren Nutzung als Spital kam es aber nicht, denn wenig später wurde das Kinderheim Rathausen gegründet. Die Idee, in Rathausen eine Anstalt einzurichten, war nicht neu, wurde aber erst jetzt umgesetzt. Damit zog 1883 wieder eine Institution nach Rathausen – dieses Mal für über 100 Jahre.

 

Das Amtshaus beherbergte einmal ...

1685 - 1848 die attraktive, reich bestückte Wohnung des Verwalters (Amtmann) und des Kaplans (Geistlicher, Seelsorger) des Klosters. Auch für den Abt von St. Urban wurden komfortable Räume eingerichtet, die er während seiner Klosterbesuche mit seinem Kammerdiener bewohnte.

1849 - 1867 die Wohnung des Direktors und später des Musiklehrers des Lehrerseminars. Beide konnten mit ihren Familien eine grosszügige Wohnung darin beziehen.

1871 das Lazarett für die Bourbaki-Soldaten

1880 ein Pockenspital

1883 - ca. 1977 in der Zeit des Kinderheims die Wohnung des Direktors und das Schulhaus, Zimmer für Lehrer und Handwerker. Bis 1977 Büros der Stiftung Kinderdörfli Rathausen

1994 - heute den Sitz der Verwaltung der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL

... dazwischen stand es immer wieder leer.



*Aus: Auszug aus einem Brief eines Vaters an den Titl. Herr Polizeidirektor und Regierungsrat, Luzern, den 9. April 1880. StALU, AKT 34/62 B.5.