In den 1970er- und 1980er-Jahren kam es zu grundlegenden Reformen im Heimwesen der Schweiz.
Wesentlich mitgeprägt wurde diese Entwicklung durch die gesellschaftlichen Aufbrüche Ende der 1960er-Jahre und die Heimkampagne von 1971, die die damalige Heimerziehung stark kritisierte.
Von dieser Entwicklung war auch Rathausen betroffen, was jedoch erst wenig untersucht ist. Das autoritäre und in Teilen repressive Erziehungssystem wich einer partizipativeren, freiheitlicheren, das einzelne Kind individueller berücksichtigenden Erziehung. Die Kindergruppen wurden deutlich kleiner und waren von mehr Personal betreut. Körperstrafen waren nun untersagt. Das Heim bezog die Eltern in die Erziehung und Therapie ihrer Kinder mit ein und verstand sich nicht mehr als Familienersatz. Die Therapien wurden ausgebaut und vielfältiger.
Das Heim wird «weltlich»
In dieser Zeit fand auch der Wechsel von geistlichem zu weltlichem Personal statt. Der explizit katholische Charakter des Heims verschwand. Die Ingenbohler Schwestern verliessen 1972 das Heim wegen Nachwuchsmangels. 1976 nahm auch der letzte geistliche Direktor Abschied.
Die Übergangszeit war wegen des in der Hochkonjunktur der 1970er-Jahre herrschenden Personalmangels nicht einfach. Erst allmählich wurde vermehrt fachspezifisch ausgebildetes Personal eingesetzt. Die Lohnkosten stiegen in der Folge an. Auch die Arbeitsbedingungen veränderten sich, nicht zuletzt, um die Arbeit in einem Kinderheim für Fachpersonal attraktiver zu gestalten.
Die Schliessung des Heims
Seit Beginn der 1970er-Jahre wurden immer weniger Kinder in Rathausen platziert, wie dies auch bei anderen Kinder- und Jugendheimen der Fall war. Eine verstärkte Zurückhaltung gegenüber Heimplatzierungen sowie der Geburtenrückgang trugen unter anderem dazu bei. Andere, teils neue Betreuungsformen fanden mehr und mehr Anklang, etwa betreute Wohngruppen oder ambulante Stellen. 1987 wurden die letzten Wohngruppen des «Kinderdörflis» geschlossen, 1988 auch die Tagesschule.