Das Kinderheim 1883–1989

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Fluchtversuche und andere Verhaltensweisen

Audio: «Die einen sind beim Friedhof hinten über die Mauer abgehauen».
Ehemalige Rathauser Heimkinder erinnern sich, 1930er- bis 1960er-Jahre.*

Die dicken und hohen Klostermauern umschlossen bis in die 1950er-Jahre das abgelegene Kinderheim. Das Eingangstor und die Türen im Heim waren verschlossen. Wer weg wollte, musste eine Fluchtmöglichkeit finden.

An manchen Orten, so berichten ehemalige Heimkinder, standen Bäume ganz nahe der Mauer. Sie wurden von manchen Kindern als Fluchthelfer benutzt. Auch andere Möglichkeiten boten sich an. So kam es immer wieder zu Fluchtversuchen. Manchmal floh eine ganze Gruppe. Meistens wurden die Entlaufenen erwischt und ins Heim zurückgebracht. Das Einsperren in den Karzer (Arrestlokal) und das Scheren der Haare waren dann verbreitete Strafen.

Unterschiedliche Verhaltensweisen

Während die einen Heimkinder aus dem Heim flohen, fügten sich andere ein, machten sich beim Personal beliebt oder fanden in einer Erzieherin eine Bezugsperson, an die sie sich halten konnten. Andere zogen sich zurück oder verhielten sich möglichst unauffällig. Die einen schufen sich Freiräume, spielten gar Streiche. Andere verweigerten sich, wurden aufmüpfig, verspotteten das Personal, wehrten sich mit Worten oder wurden handgreiflich.

Freundschaften und Solidarität

Manchmal wurden zwischen Kindern auch Freundschaften geschlossen und es entstand ein Zusammenhalt, soweit dies der Anstaltsbetrieb zuliess. Andere erlebten kaum Solidarität unter den Heimkindern. Manche Kinder wurden ausgeschlossen und gehänselt. Teilweise kam es zu Tätlichkeiten und sexuellen Übergriffen unter den Kindern und Jugendlichen selber.

 

«Wir haben oft Schabernack getrieben.»
Interview ehemaliges Heimkind, in Rathausen 1940er- /1950er-Jahre.
 
«In der grössten Verzweiflung drin bin ich dann auch einmal, zweimal abgehauen, bis mich die Polizei aufgegriffen hat».
Interview ehemaliges Heimkind, in Rathausen 1930er- /1940er-Jahre.
 

Klostermauer

Das Kinderheim mit der Klostermauer nach der Gündung. Lith. von Anton Eglin, Luzern, 1880er- /1890er-Jahre. StALU, PL 6680/4.


*Aus: Interviews mit ehemaligen Heimkindern von Rathausen, 1930er- bis 1960er-Jahre.